Was ist Wildnis? Darüber gehen die Meinungen auseinander, jeder hat eigene Vorstellungen und Wünsche sind so vielfältig wie die Gesellschaft. Doch wirkliche Wildnis kennt kaum jemand, weil sie in Deutschland ausgestorben ist. Und selbst dort, wo wir die heutige Natur zur Wildnis erklären, sind Einflüsse des Menschen nicht oder nicht vollständig umkehrbar. Oder die Einflüsse nehmen weiter an Bedeutung zu, wie der Klimawandel aktuell zeigt. Die Niedersächsischen Landesforsten entwickeln ein kompaktes Waldstück im Solling zu einem Wildnisgebiet. Zwischen Uslar und Hilwartshausen überlassen sie ein rund 1.000 Hektar umfassendes Waldareal einer natürlichen Entwicklung und stellen die Bewirtschaftung ein. Auf dem Weg zu mehr Wildnis möchten die Landesforsten Menschen aus der Region mitnehmen.

Erster Waldbegang durch alte Buchenwälder und neu ausgewiesene Flächen

Forstleute aus dem Forstamt Dassel und der Betriebsleitung der Landesforsten aus Braunschweig hatten interessierte Verbände und Institutionen, bekannte Artenkundler und Vertreterinnen und Vertreter aus der Region eingeladen. Weiterhin nahmen Vertreter der Städte, Gemeinden, der Kreistagsfraktionen und des Landkreises Northeim sowie amtliche und ehrenamtliche Naturschützer teil. Der erste Begang am Donnerstag vergangener Woche (5. Mai) führte sowohl durch naturnahe Mischwälder mit 156 Jahre alten Buchen und Fichten, als auch durch neu hinzugekommene Parzellen mit mittelalten Fichtenaufforstungen. Der Austausch im Wald diente vor allem dem Zweck unterschiedliche Wege aufzuzeigen, ob und wann sich der Mensch aus dem Wald zurückziehen kann. „Sollen alle Fichten radikal beseitigt werden, damit aus dem Wildnisgebiet möglichst schnell ein naturnaher Hainsimsen-Buchenwald werden kann, oder lassen wir uns dafür mehr Zeit und gestalten die Eingriffe schonender und verteilen sie auf einen längeren Zeitraum“, fragte Peter Martensen, der das Gebiet als verantwortlicher Revierleiter betreut. Denn das Entwicklungsziel laute, auch die Restflächen mit derzeit noch naturfernen Fichtenwäldern in einen für den Solling typischen naturnahen Buchenwald zu lenken, erläuterte Förster Martensen. Die gute Botschaft sei jedenfalls, dass das ausgewiesene Waldgebiet auf über 80 Prozent der Fläche schon jetzt sich selbst überlassen werden könne. Hans Martin Hauskeller aus der Betriebsleitung der Niedersächsischen Landesforsten machte deutlich: „Ein Wildnis-Entwicklungsplan zu erstellen ist eine komplexe Aufgabe, für die keine Blaupause in der Schublade liegt“, so der Forstwissenschaftler und Leiter der Abteilung Wald und Umwelt. Sein Ziel für die Exkursion lautete, die Akteure aus der Region mitzunehmen und um Verständnis zu werben für den Auftrag der Landesforsten.

Waldrundgang als Teil einer regelmäßigen Öffentlichkeitsarbeit

Ende Januar hatte die Landesforsten eine abendliche Video-Konferenz abgehalten und über das neu eingerichtete Wildnisgebiet Solling informiert. Der jüngste Maispaziergang führte zu drei Stationen, an denen unterschiedliche Möglichkeiten der Waldbehandlung diskutiert wurden. Die Vorstellungen der geladenen Gäste reichten von einem sofortigen Nichtstun bis zu aktivem Gegensteuern und Zurückdrängen unerwünschter Baumarten. Forstleute berichteten aus ihrer praktischen Erfahrung, dass sich Fichten im Solling von Natur aus stark ausbreiten und in den angestrebten Lebensraumtyp Buchenlaubwald einwandern würden. Abteilungsleiter Hans-Martin Hauskeller sah besonders dort Handlungsbedarf, wo gleichförmige Fichtenwälder aus Anpflanzungen nach einem Jahrhundertsturm von 1972 homogene Strukturen ausprägen. „Hier kann ein forstlicher Auftrag lauten, die Homogenität zu durchbrechen und kleinflächig neue Laubbaumarten gezielt zu pflanzen“, so seine Anregung. Wie das Gebiet langfristig erschlossen wird und welche Wege überhaupt noch benötigt werden, sollen mögliche Themen bei Nachfolgeveranstaltungen werden. Auch in die Planung für Waldpädagogik und Umweltbildung sowie Tourismuskonzepte wollen die Veranstalter die Öffentlichkeit einbinden und kündigten weitere Waldbegänge an.

Sorge vor Trockenschäden und Borkenkäferbefall

Sorge bereitet die latente Gefahr vor Borkenkäfern, die im Solling nach Sturm Friederike (2018) und den Dürrejahren dank sauberer Waldwirtschaft gemanagt werden konnte. Erneute Trockenjahre oder fehlender Regen in der Vegetationszeit könnten aus kleinflächigen Befallsherden gefährliche Flächenbrände werden lassen, beschrieben Forstleute das Risiko, wenn im Wildnisgebiet die Borkenkäferbekämpfung eingestellt werde. „Eine Ausbreitung der Insekten auf umliegende Wirtschaftswälder soll möglichst verhindert werden, forderte auch Olaf Müller, Reviernachbar von Peter Martensen und Leiter der Försterei Relliehausen. Revierförster Peter Martensen moderierte den Waldbegang und will auch künftig sein Ohr offen halten für Anregungen und Fragen zum Wildnisgebiet. Als Leiter der Försterei Delliehausen ist er für das Wildnisgebiet zuständig und koordiniert die notwendigen Schritte, um das Gebiet möglichst naturnah zu entwickeln. „Die Landesforsten haben jetzt den Auftrag, einen Managementplan aufzustellen und danach erforderliche Maßnahmen zur Waldentwicklung umzusetzen, bevor im Wildnisgebiet endgültig Ruhe einkehrt“, beschrieb Peter Martensen den Zeitplan. So könne der Anteil an Flächen, die der Naturdymanik überlassen bleiben, rasch erhöht werden.

Hintergrund

Das Schutzgebiet wurde im Zuge des „Niedersächsischen Weges“ ausgerufen“ und zum 01.01.2021 formal eingerichtet. Es liegt vollständig im Forstamt Dassel zwischen Uslar und Hilwartshausen und hat eine kompakte Größe von 1020 Hektar. Vorrangiges Ziel des Wildnisgebietes ist der Erhalt möglichst ungestörter alter Buchenwälder. Die Landesforsten stellen in ihrem Wildniswald die Bewirtschaftung der Buchenbestände ein und überlassen diese Wälder einer natürlichen Entwicklung. In den noch vorhandenen Nadelbaumbeständen soll – zeitlich befristet – eine Entwicklung hin zu Buchenwäldern angestoßen werden.

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